Mein Name ist 4BBRW. Wer mir diesen Namen gegeben hat? Wahrscheinlich die gleichen Leute, die mir den kleinen Sender auf dem Rücken umgehängt und mir vier farbige Fussringe verpasst haben. Ganz schön modisch dieser Fussschmuck. Meine Kollegen schauen mir alle neugierig auf meine bunten Beine und wollen wissen, wozu diese Ringe gut sind. Keine Ahnung, aber sie machen mich irgendwie zum Exoten.
Wie gesagt hat mir meine Mama viel beigebracht und sie muss hier irgendwo sein, hat aber wohl gerade keine Zeit für mich. Macht nichts, ich befinde mich in guter Gesellschaft. Viele meiner Artgenossen schwirren um mich herum. Wir befinden uns hier im Westen Alaskas in einem der grössten Flussdeltas der Welt, wo wir den Sommer verbringen. Dieser Ort ist mit seinen angenehmen Tagestemperaturen von 12-20° ideal für uns und bietet uns alles was wir brauchen, um uns auf den langen Trans-Pazifik-Flug Richtung Süden vorzubereiten.
Noch ist es August und die Sonne glitzert auf dem Wasser. Der Tag ist perfekt für meine Jagd und so stapfe ich mühelos in dem sumpfigen Flussgebiet herum, picke mir sämtliche Krebstiere und Würmer aus dem Sand und schnappe nach jedem Insekt, das vor meinem Schnabel herumsummt. Zum Glück gibt es hier praktisch keine Feinde für mich, so dass ich mich sorglos nach diesen Leckereien umschauen kann. Mir bleiben nur noch wenige Wochen, mir das nötige Fettpolster anzulegen. Ihr Menschen, die Morgen für Morgen auf der Waage herumtanzt und jedes Gramm zählt, könnt Euch das sicher nicht vorstellen, aber ich muss bis zu meiner grossen Reise mein Körpergewicht fast verdoppeln. Damit aber nicht genug, mein Körper muss dabei nach wie vor aerodynamisch bleiben. Das geht aber nicht, wenn ich wie ein Kugelfisch mit Stelzen aussehe, und deshalb muss ich gleichzeitig andere Organe in meinem Körper verkleinern, insbesondere den Verdauungstrakt. Eine echte Herausforderung.
Ich war noch klein und meine Mama mahnte mich von Anfang an, dass ich den Sternenhimmel immer genau beobachten soll. "Du musst lernen, in der Nacht einen Herbsthimmel von einem Frühlingshimmel unterscheiden zu können", drängte sie mich immer wieder, "denn nur so kannst Du wissen, wann Du in Richtung Norden und wann in Richtung Süden fliegen musst." Meine Mama erzählte mir von Jungtieren, die von Menschen in geschlossenen Räumen aufgezogen wurden und nie den Sternenhimmel zu sehen bekamen. Die Küken lernten nicht, ihren Sternenkompass zu entwickeln und waren folglich auf ihren Zügen nicht in der Lage, sich zurechtzufinden.
Ich orientiere mich aber nicht nur an den Sternen. Ich verfüge über einen Sinn, den ihr Menschen nicht kennt. Den Magnetsinn. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich dieser in meinen Augen befindet. Ich kann damit das Magnetfeld der Erde erfassen. Ich nehme sowohl die Stärke als auch die Ausrichtung des Magnetfeldes wahr und kann dann auf meiner inneren Magnetfeldkarte die Orte wiedererkennen, an welchen ich bereits einmal war. Fachleute sind der Meinung, dass ich diese mit meinem Schnabel aufzeichne. Mein Magnetsinn funktioniert allerdings nur solange, wie nicht einer auf die Idee kommt, mir ein Auge abzudecken, dann verliere ich diese aussergewöhnliche Fähigkeit. Auch Elektrosmog kann meinen Magnetkompass beeinträchtigen. Dazu reichen schon kleine Frequenzbereiche wie sie mit normalen Haushaltsgeräten erzeugt werden.
Wenn Ihr jetzt denkt, das sei faszinierend, dann gebe ich Euch recht, aber das ist noch nicht alles. Meine Orientierung ist noch viel ausgefeilter. So kann ich bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang anhand des Sonnenstands erkennen, wo ich mich befinde bzw. in welche Richtung ich fliege. Ihr fragt Euch jetzt sicher, wie den das an bewölkten Tagen funktioniert. Ganz einfach. Ich kann die Schwingungsrichtung des Sonnenlichtes sehen und weiss deshalb genau, wo sich die Sonne befindet, auch wenn sie sich hinter den Wolken versteckt.
Ein herzliches Dankeschön möchte ich an dieser Stelle an Michael Gerber von
www.birds-online.ch richten, der mir seine wunderschönen Bilder von der Pfuhlschnepfe zur Verfügung gestellt hat.